SpaceX zeigt in seiner Dokumentation „Return to Space“ viel von seinem Entwicklungsprozess. Da das Motto für den Scrum Day 2022 ist „Moving the Scrum Downfield“, als Referenz an die ursprüngliche Idee, die im Jahr 1986 von Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka in dem Artikel „The New New Product Development Game“ artikuliert wurde, möchte ich in diesem Blogbeitrag anhand von dem Artikel untersuchen, wie die Entwicklung von Falkon Raketen als Beispiel für diesen Ansatz taugt.
Ein Entwicklungsansatz, der Geschwindigkeit und Flexibilität des heutigen Marktes gerecht wird, erfordert Teams, die sich wie bei einem Rugby Spiel den Ball gegenseitig hin und her spielen, statt wie bei einem Staffellauf nacheinander die Staffette weiter tragen. Für diesen Ansatz ist ein Shift von einem linearen Ansatz zu einem integrierten Ansatz erforderlich. Das ist die Aussage von Takeuchi und Nonaka.
In diesem Blogbeitrag möchte ich den Inhalt des Artikels mit einem aktuellen Beispiel unterlegen: Die Entwicklung von Produkten der Firma SpaceX, mit der Vision, den Mars mit Menschen zu bevölkern. Am 7. April 2022 wurde auf Netflix die Dokumentation „Return to Space“ veröffentlicht, in der der Weg von SpaceX aufgezeigt wird. Dieses Beispiel möchte ich für den ursprünglichen Artikel als ergänzenden Case Study einführen.
Die Erfinder von dem Produktentwicklungs-Framework Scrum, Jeff Sutherland und Ken Schwaber, wurden laut deren Aussage von diesem Artikel inspiriert. In den letzten 30 Jahren ist viel Erfahrung mit diesem integrierten Ansatz entstanden.
Moving the Scrum downfield
Es gibt 6 Punkte, die zu diesen neuen integralen Ansätzen beitragen:
1. Eingebaute Instabilität
2. Selbstorganisierende Projektteams
3. Überlappende Entwicklungsphasen
4. Multi-Lernen
5. Subtile Kontrolle
6. Organisatorischer Lerntransfer
1. Eingebaute Instabilität
Aussage im Artikel: „Das Top-Management startet den Entwicklungsprozess, indem es ein allgemeines Ziel oder eine allgemeine strategische Richtung signalisiert. Es gibt selten ein klar umrissenes neues Produktkonzept oder einen spezifischen Arbeitsplan aus. Aber es bietet einem Projektteam ein großes Maß an Freiheit und setzt auch äußerst anspruchsvolle Ziele.
Große Vorhaben starten mit großen Visionen. Es gilt buchstäblich, nach den Sternen zu greifen.
In den ersten Minuten der Dokumentation formuliert Elon Musk seine Vision, fast schon eine Utopie:
„Die Erde ist die Wiege der Menschheit. Man kann nicht immer in der Wiege bleiben. Es ist Zeit voranzuschreiten und zwischen den Sternen zu verweilen und das Ausmaß des menschlichen Bewusstsein zu erweitern.“
Ohne Frage spaltet diese Aussage. Entweder man ist Fan von Elon oder nicht. Ich gehöre zu den Fans, wahrscheinlich hauptsächlich deshalb, weil auch ich in Südafrika aufgewachsen bin. Sein Narrativ für die Menschheit gefällt mir auch. Wem diese Vision nicht gefällt, der wird nicht für SpaceX arbeiten. Für alle anderen ist das ein nicht zu übertreffender Antrieb.
Wie du nach den Sternen greifst(Video) ist eine Aufzeichnung von einem Webseminar, in dem wir die Rolle von großen Visionen gemeinsam erforscht haben.
2. Selbstorganisierende Projektteams
Aussage im Artikel: Ein Projektteam nimmt einen selbstorganisierenden Charakter an, da es in einen Zustand der „Null-Information“ getrieben wird – wo Vorwissen nicht gilt. In diesem Zustand gibt es viele Mehrdeutigkeiten und Schwankungen. Dem Schmoren überlassen, beginnt der Prozess, seine eigene dynamische Ordnung zu schaffen. Das Projektteam beginnt, wie ein Start-up-Unternehmen zu agieren – es ergreift Initiativen und Risiken und entwickelt eine unabhängige Agenda. Irgendwann beginnt das Team, ein eigenes Konzept zu erstellen.
Autonomie
„Die Beteiligung der Zentrale beschränkt sich von Anfang an auf die Bereitstellung von Beratung, Geld und moralischer Unterstützung. Im Tagesgeschäft greift das Top-Management selten ein; Das Team ist frei, seine eigene Richtung zu bestimmen.„
Selbsttranszendenz
„Die Projektteams scheinen in eine nie endende Suche nach „dem Limit“ versunken zu sein. Ausgehend von den vom Top-Management festgelegten Richtlinien beginnen sie, ihre eigenen Ziele festzulegen und sie während des gesamten Entwicklungsprozesses immer weiter zu erhöhen. Indem sie scheinbar widersprüchliche Ziele verfolgen, entwickeln sie Wege, den Status quo außer Kraft zu setzen und die große Entdeckung zu machen.“
Nachdem die ersten Racketenstarts gescheitert waren und das Geld immer knapper wurde, setzte Elon Musk alles auf eine Karte. Das Team hatte viel bei den ersten gescheiterten Starts gelernt. In dieser Dokumentation wird gezeigt, wie trotz Scheitern das Vertauen aufrecht erhalten bleibt und die Autonomie der Teams in der dunkelsten Stunde bestehen bleibt.
Meine Beobachtung von vielen Unternehmen ist die, dass bei einem Scheitern der Rückfall in altes lineares Vorgehen vorprogrammiert ist. Dies passiert nicht deshalb, weil das sicherer zum Erfolg führt, sondern weil das alte Vorgehen sich vertrauter anfühlt. Damit dieser Rückfall nicht passiert, ist es notwendig von Anfang an eine gemeinsame Allianz dazu zu schmieden und in einem Code of Conduct zu verfassen.
3. Überlappende Entwicklungsphasen
Aussage im Artikel: „Der selbstorganisierende Charakter des Teams erzeugt eine einzigartige Dynamik oder Rhythmik. Obwohl die Teammitglieder das Projekt mit unterschiedlichen Zeithorizonten beginnen – wobei die F&E-Mitarbeiter den längsten Zeithorizont und die Produktionsmitarbeiter den kürzesten haben – müssen sie alle daran arbeiten, ihr Tempo zu synchronisieren, um Fristen einzuhalten.“
Gwynne Shotwell ist in der Dokumentation die Präsidentin und COO von SpaceX. Sie beschreibt, wie und warum die Bürokratie beim Vorgehen von SpaceX durchbrochen wurde. Am Anfang hat sich ein kleines Team gemeinsam voll auf das eine Projekt konzentriert: die Falcon I Rakete ins Orbit zu bekommen. Es war ein komplexes Vorhaben. Das Team war Multidisziplinär. Elon Musk selbst war aus der Softwarebranche. Nasa Administrator Jim Bridenstine beschreibt, wie unterschiedlich die Philosophien zwischen den klassische Partnern und SpaceX sind. SpaceX arbeitet iterativ und empirisch. Viele Versuche werden gestartet. Lernen aus Fehlern. Fehler sind deshalb willkommen. Die klassischen Partner versuchen alle Probleme, durch genaue vorherige Planung, auf dem Papier zu lösen. Erst danach wird das Vehikel gebaut, bevor es dann an die Startphase geht.
4. „Multi-lernen“
Aussage im Artikel: „Da die Mitglieder des Projektteams in engem Kontakt mit externen Informationsquellen stehen, können sie schnell auf sich ändernde Marktbedingungen reagieren. Die Teammitglieder beteiligen sich an einem kontinuierlichen Prozess von Versuch und Irrtum, um die Anzahl der Alternativen einzugrenzen, die sie in Betracht ziehen müssen. Sie erwerben auch ein breites Wissen und vielfältige Fähigkeiten, die ihnen helfen, ein vielseitiges Team zu bilden, das in der Lage ist, eine Reihe von Problemen schnell zu lösen. Ein solches Lernen durch Handeln manifestiert sich in zwei Dimensionen: über mehrere Ebenen (Einzelperson, Gruppe und Unternehmen) und über mehrere Funktionen hinweg. Diese beiden Dimensionen des Lernens werden als „Multilearning“ bezeichnet.“
Als erste Astronauten an Bord von der Rakete zur ISS waren erfahrene NASA Astronauten, die bereits mit dem Spaceshuttle unterwegs waren. In der Dokumentation kommt die Leidenschaft der Astronauten zum Ausdruck, aber auch die Demut und der Respekt vor den Gefahren. Ohne Emotionalität gibt es keine echte Lernerfahrung.
5. Subtile Kontrolle
Aussage im Artikel: „Obwohl Projektteams weitgehend auf sich allein gestellt sind, sind sie nicht unkontrolliert. Das Management richtet genügend Kontrollpunkte ein, um zu verhindern, dass Instabilität, Mehrdeutigkeit und Spannungen in Chaos umschlagen. Gleichzeitig vermeidet das Management eine starre Kontrolle, die Kreativität und Spontaneität beeinträchtigt. Stattdessen liegt die Betonung auf „Selbstkontrolle“, „Kontrolle durch Gruppendruck“ und „Kontrolle durch Liebe“, die wir zusammen „subtile Kontrolle“ nennen.“
Fehlertoleranz
Anti-Fragil sein bedeutet, aus Fehlern zu lernen. SpaceX hat aus den eigenen Fehlern gelernt, aber auch aus dem Scheitern von SpaceShuttle Flügen. Wie kann man die Astronauten heil nach Hause bringen? Erst wenn man ein System an sein Limit gebracht hat und zum Scheitern, dann kann man wirklich etwas lernen.
Scheitern ist in unserem Kulturkreis mit viel Scham und Schuld verknüpft. Um diese Schmach eingehen zu können, muß die Leidenschaft für ein Vorhaben so groß sein, dass die Gefahr des Scheiterns in den Hintergrund rückt. Gemeint ist hier nicht das Verzeihen von Schlamperei. Das wird oft verwechselt.
Die richtigen Leute
In dieser Dokumentation kommt sehr gut zum Ausdruck, wie Menschen mit der gleichen Bestimmung sich gemeinsam verstärken. Mit der eigenen Bestimmung ist das so, wie mit einer Eichel die zu einem Eichenbaum wird. Die Vision für das Vorhaben erzeugt die Selektion.
6. Organisatorischer Lerntransfer
Aussage im Artikel: „Der Drang, Wissen über Ebenen und Funktionen hinweg anzusammeln, ist nur ein Aspekt des Lernens. Wir beobachten ein ebenso starkes Bestreben der Projektmitglieder, ihr Gelerntes auf andere außerhalb der Gruppe zu übertragen. Der Transfer des Gelernten in spätere neue Produktentwicklungsprojekte oder in andere Abteilungen der Organisation findet regelmäßig statt. In mehreren der von uns untersuchten Unternehmen erfolgte der Transfer durch „Osmose“ – durch die Zuordnung von Schlüsselpersonen zu Folgeprojekten.“
In dieser Mission sehen wir, wie das Wissen zwischen NASA und SpaceX transferiert wird. Die Erfahrungen mit dem SpaceShuttle und seinen Astronauten fließen ein. Das Wissen und die Erfahrung der Astronauten wird gewürdigt und die Menschen nicht als austauschbar erachtet. In dieser Dokumentation kommt die emotionale Seite dessen zum Ausdruck. Die Astronauten haben bei ihrem risikoreichen SpaceX Pilotflug bereits kleine Kinder. In einer sehr berührenden Szene wird Elon Musk von einem Journalisten damit konfrontiert, dass er dem Sohn des Astronauten versprochen hätte, den Vater heil nach Hause zu bringen. Diese Szene, wie auch viele Andere, zeigen, das für solche Vorhaben echte Menschen wichtig sind, die nicht durch Roboter und AI ersetzt werden können.
1). The New New Product Development Game von Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka – https://hbr.org/1986/01/the-new-new-product-development-game Harvard Business Review, 1986