Agile Transformation in Balance

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Große Unternehmen stehen vor den Herausforderungen des digitalen Zeitalters. Sie möchten deshalb agiler werden und schneller mit neuen Produkten am Markt sein. Da diese Unternehmen jedoch Strukturen haben, die für das Industriezeitalter nützlich waren, muss eine Transformation zu Agilität stattfinden, ohne das Unternehmen aus der Balance zu bringen. Die Gesetzmäßigkeiten des Industriezeitalters sind invers zu denen des digitalen Zeitalters:

  1. Weniger ist mehr

Im Digitalzeitalter gilt das Gesetz von Moore, dem Gründer von Intel. https://de.wikipedia.org/wiki/Mooresches_Gesetz

Dies bezog sich ursprünglich auf Prozessoren. Alle 18 Monate verdoppelt sich die Leistung zum gleichen Preis. Dieses Gesetz lässt sich inzwischen auf alles anwenden, was im Digitalzeitalter von Bedeutung ist. Da dies sich auch auf erneuerbare Energien, wie zum Beispiel Solartechnologien anwenden lässt, erfasst dies alle Branchen.

  1. Wissen teilen

Im Digitalzeitalter ist Wissen nicht mehr ein geheimes Gut, sondern wird offen als Open Source geteilt. Dies passiert innerhalb des Unternehmens und außerhalb. Wenn Wissen in vielen Köpfen steckt, dann kann es nicht verschwinden. Von den ersten Open Source Unternehmen kann man lernen, wie das funktioniert. Google ist ein gutes Beispiel. Da sie einige ihrer AI Produkte offengelegt haben, kann kaum jemand eigene geschlossene AI Systeme zum Erfolg bringen.

  1. Menschen entwickeln

Im Industriezeitalter wurden Menschen als Ressourcen betrachtet. Man wollte diese möglichst gut ausgebildet einkaufen. Das Wissen der Menschen was austauschbar und konnte auf Papier dokumentiert werden. Im Digitalzeitalter sind die Produkte so komplex, dass das meiste Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter steckt. Die Mitarbeiter werden so zu einem untrennbaren Teil des Unternehmens. Wenn ein Mitarbeiter die Firma verlässt, dann verschwindet mit ihm ein wertvolles Stück wissen. Die Bindung und Weiterentwicklung der Mitarbeiter wird so zu einem wichtigen Bestandteil. Das Unternehmen wird zur lernenden Organisation.

Jedes große Unternehmen, dass heute von den Mechanismen des Industriezeitalters profitiert, muss sich umstellen um zu überleben. Die große Frage, die im Raum steht, ist wie das idealerweise funktioniert.

Der Wunsch nach Kochrezepten und „best Practices“ greift zu kurz, da dieser Prozess fließend ist. Die Praktiken eines Unternehmens sind individuell und verändern sich ständig. Kevin Kelly bezeichnet dies in seinem Buch „The Inevitable: Understanding the 12 Technological Forces that will Shape our Future“ als „Becoming“, alles ist am werden. Jedes Unternehmen wird also seinen eigenen Weg gehen müssen um mit den neuen Gesetzmäßigkeiten erfolgreich zu sein.

Auch bei Unternehmen kann man in digital Natives und digital Immigrants unterscheiden. Weil die digital Nativen Unternehmen, wie Google, Amazon und Tesla zur disruptiven Bedrohung wird, müssen sich die digital Immigrants auf die Gesetzmäßigkeiten des digitalen Zeitalters einstellen um nicht aus dem Geschäft verdrängt zu werden.

Europa ist anders als USA

Unternehmen in Europa haben eine andere Historie als amerikanische Firmen. In USA sind die Menschen „Hire und Fire“ gewohnt und haben sich darauf eingestellt. Man ist mobil und findet notfalls einen Job am anderen Ende des Staates. In Europa sind die Arbeitsplätze stabiler und es ist schon wegen der Sprachbarrieren und der kulturellen Unterschiede nicht sinnvoll bei jeder Umorganisation von Schweden nach Italien zu ziehen und zurück. Europäische Firmen sollten also genau hinschauen, bevor sie vermeintliche Erfolgsrezepte ungefiltert von den Amerikanern übernehmen.

Agil mit hierarchischen Kulturen in Balance

Es ist wichtig alle auf den Weg mitzunehmen und etwas anders zu machen, damit es bei den Gesetzmäßigkeiten des Digitalzeitalters Erfolg verspricht. Die meisten großen Unternehmen haben in der Vergangenheit so viele Change Prozesse hinter sich gebracht, bei denen Menschen umorganisiert wurden, dass Veränderung als Gefahr eingestuft wird und Selbstschutz aktiviert wird. Es ist damit nicht sehr erfolgversprechend an den Organigrammen zu drehen. Aus systemischen Organisationsaufstellungen wissen wir, dass die informellen Strukturen viel wichtiger sind, als die formellen.

John Kotter, der erfahrene Change Experte hat dies in seinem Video Accelerate auf den Punkt gebracht. Er stellt hier vor, wie das hierarchische und das laterale System als doppeltes Betriebssystem zu vereinbaren sind.

Agil drüber stülpen

Um etwas anders zu machen, ist ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit wichtig. Ich habe bisher kein Unternehmen erlebt, bei dem die agile Transformation geklappt hat, indem zuerst das mittlere Management, wie Teamleiter, Abteilungsleiter und Entwicklungsleiter abgeschafft wurde. Diese Personen hatten danach die Titel Scrum Master und Product Owner auf ihren Visitenkarten stehen und alles blieb beim Alten. Dies wird auch als Scrumfacade bezeichnet.

Das Problem in diesem Szenario ist, dass die agilen Werte nicht gelebt werden. Mit Selbstorganisation hat das meist nichts zu tun. Das ist jedoch der Kern für Entscheidungsfreiheit im Team und damit guten Ergebnissen. Meist wird bei diesem Modell mit doppelter Geschwindigkeit das Falsche gebaut. Der Glaube besteht, dass mehr zu mehr Ergebnis führt. Die Teams werden mit feiner aufbereiteten Backlogs gefüttert. Speed steht im Vordergrund, aber nicht das Ergebnis. Digital bedeutet nicht-materielles Gut. Die Gesetzmäßigkeit, dass weniger mehr Nutzwert liefert, wird hier torpediert. Das erreicht man nur, wenn die Teams selbst für ihre Ergebnisse verantwortlich sind.

Das Waschbären-Prinzip

Wasch mich, aber mach mich nicht nass! Nach diesem Prinzip handeln Firmen, wenn auf der untersten Stufe mit Scrum / Agil gearbeitet wird, aber das mittlere Management immer noch seine klassischen Reports braucht, um nach oben zu melden. Hier steckt oft Stealth-Scrum dahinter. Teams machen einfach Scrum und arrangieren sich mit dem Rest.

Diese Szenarien führen interessanterweise öfter zum Erfolg, als wenn Scrum von oben drüber gestülpt wird. Das Problem hier ist, dass Wissen teilen nicht stattfindet und möglichst unterbunden wird, weil Organisationshierarchien im Weg stehen. Die Scrum Teams werden dann als unerfolgreich später wieder „eingefangen“.

Zweite Generation Agile

Restart Agile

Einige große Unternehmen sind inzwischen so unter Druck von Start-Ups, die die Gesetzmäßigkeiten des digitalen Zeitalters besser beherrschen, dass sie sich dafür interessieren, wie sie agile Prinzipien nutzen können um sich selbst zu retten.

Manche starten einen zweiten Versuch und der Begriff Scrum wird manchmal als verbrannte Erde bezeichnet. Dann ist es gut, sich einen eigenen Namen dafür auszudenken. Die Prinzipien die hinter agilen Methoden stecken, egal welcher Name, sind nötig, um den Umstieg in das digitale Zeitalter zu schaffen.

Der Kern von Agile

Feste Zeiteinheiten

Nach den Gesetzmäßigkeiten des digitalen Zeitalters ist alles im Fluss. Kelly beschreibt dies als Flowing. Damit sind Features eines Produktes nicht mehr fix und auch nicht planbar. Der Kern von Scrum ist der Sprint, eine feste Zeiteinheit. Wenn Features nicht mehr Fix sind, dann bringt eine feste Zeitbox eine konstante mit sich. Wenn Zeit und Features variabel sind, dann können wir nichts mehr messen und vergleichen. Eine feste Zeitbox hat viele Effekte. Es für jeden Beteiligten möglich, seine Zeit besser zu planen. Wenn alle drei Wochen an einem Donnerstag das Sprint Review stattfindet, dann kann das jeder in seinem Kalender planen. Dies ist die Basis dafür, regelmäßig Wissen zu teilen.

Feedbackschleifen

Feedback in kurzen Abständen kann zu Kurskorrekturen genutzt werden. Dies ist etwas Anderes, als in kurzen Etappen einen vorher festgelegten Plan durchzuführen. In kürzeren Abständen feststellen, wie hoch der Nutzwert ist. Outcome statt Output. Weniger ist mehr bei digitalen Gütern.

Offenheit

Agile Teams haben Offenheit in ihrer Kommunikation. Jeder kann sehen, wo sie stehen. Der Product Backlog und der Sprint Backlog können von jedem eingesehen werden. Auch das Review ist offen.

Lernende Organisationen

Dies ist ein großes Wort. Eine lernende Organisation verhält sich wie ein lebender Superorganismus. Die Natur experimentiert und korrigiert sich. Es ist das Gegenteil von einem hierarchischen Unternehmen. Das doppelte Betriebssystem von Kotter ist nur der Anfang. Die Hierarchie wird sich verändern, so wie sich das Unternehmen verändert. Es ist dann das Ergebnis und nicht der Anfang.

Bienenschwärme

Ein Bienenschwarm ist ein gutes Beispiel für einen lebenden Superorganismus.

Rollen

In einem Bienenschwarm gibt es 3 klare Rollen. Die Bienenkönigin, die Drohnen und die Bienen. Diese Rollen sind fließend. Eine Arbeiterbiene durchläuft verschiedene Lehrstufen bevor sie den gefährlichen Job des Nektarsammelns verrichtet.

 Sinn/ Purpose

Bienen liefern seit Millionen von Jahren eine Dienstleistung, ohne die kein Leben an Land auf diesem Planeten existieren würde: das bestäuben von Blüten. Auch für Menschen ist Sinn der größte Treiber im Leben. (Siehe Drive von Pink https://www.youtube.com/watch?v=KgGhSOAtAyQ)

 Rituale

Das stärkste Ritual der Bienen ist der Schwänzeltanz. Bei diesem teilt eine Biene den anderen mit, wo der Nektar zu finden ist. Dieses Ritual führt zum Teilen von Wissen.

Auch Unternehmen brauchen Rituale. Scrum bietet einen Satz Rituale mit festgelegten Meetings und Spielregeln.

Schwarm

Bienenschwärme sind nicht willkürlich. Ein Bienenschwarm stammt im weitesten Sinne genetisch von der gleichen Königin ab. Dies ist sicherlich nicht das, was man von den Bienen lernen muss. Interessant ist jedoch die Zugehörigkeit zu einem Schwarm. Es ist sinnvoll, wenn in einem Team die Zugehörigkeit langfristig ist und nicht die persönlichen Karriereabsichten zu ständigem Wechsel des Arbeitsplatzes führen. Wissen ist flüchtig.

Ich erlebe es über die Jahre häufig in Scrum Teams, dass bereits erworbenes Wissen sich verflüchtigt hat und niemand mehr weiß, wie das ursprüngliche Team das gemeint hat.

Scrum, als Insel, war der erste Schritt.

Viele große Unternehmen haben Start-Up Unternehmen gegründet und Innovative Produkte entwickelt. Diese Produkte nutzen dann Scrum in der Entwicklung oder sind als Unternehmen völlig agil aufgestellt. Auf diese Weise konnten die Unternehmen viel Erfahrung mit agilen Unternehmen sammeln und die gesamte Scrum Bubble hat davon profitiert.

Das Problem dieser Scrum Inseln ist, dass die Mutterunternehmen bisher sehr wenig von diesen Abspaltungen profitiert haben. Die Mitarbeiter, die in den Mutterkonzern gewechselt haben, konnten ihre Erfahrungen ein wenig einbringen. Als jüngste Mitarbeiter wurden sie jedoch in das alte System einsortiert.

Der bessere Weg ist es, das Wissen dieser Projekte gezielt anzuzapfen und hier einen Wissensaustausch zu forcieren.

Fazit

Der Weg von großen Unternehmen zu mehr Agilität muss mit Bedacht gegangen werden. Dies passiert nicht über Nacht und nicht auf Befehl, sondern ist ein Weg, der das Unternehmen in Balance halten sollte.