Holarchien – Organisationen als lebende Organismen

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Selbstorganisierende Unternehmen sind lernfähig. Diese gestalten sich mehr wie ein lebender Superorganismus als wie eine Maschine. Sie können sich leicht dem ständigen Wandel anpassen.

Bei einer Tour zum Great Barrier Reef in Australien lud man mich zum Schnuppertauchen ein. Bewaffnet mit Sauerstoffflasche und Taucheranzug war ich flux auf dem Weg in die Tiefen der faszinierenden Unterwasserwelt.

Ein Riff ist ein vollständig selbstorganisierender Organismus. Jede Veränderung aus dem Umfeld wird sofort registriert und darauf reagiert. Ölkatastrophen, wie 2010 in Australien, sind eine echte Herausforderung für solch ein Riff. Es bilden sich Mikroorganismen, die das Immunsystem für solch einen Superorganismus bilden und solche Schäden beheben.

Schnell musste ich feststellen, dass ich dieser Herausforderung nicht wirklich gewachsen war und das Atmen mit dem Sauerstoffgerät in dieser neuen Welt doch erst einmal ein paar Übungsstunden auf dem Fußboden eines banalen mitteleuropäischen Schwimmbades erforderten. Luftschnappend war ich schnell wieder oben.

So ähnlich scheint es Managern und Mitarbeitern zu ergehen, die ihr Unternehmen weg von starren hierarchischen Strukturen und hin zu Selbstorganisation, Autonomie und Mitarbeiterermächtigung entwickeln wollen. Das Unternehmen wird zu einem autopoetischen Organismus, wie ein Korallenriff. Der Umgang damit muss erst eingeübt werden. Bewährte Konzepte und Methoden können hier beim Einstieg weiter helfen.

 

Unternehmen als lebender Superorganismus

Moderne Unternehmen im digitalen Zeitalter müssen sich ständig an veränderte Bedingungen anpassen. Das Modell eines Korallenriffs passt damit besser, als dass einer Supermaschine. Es geht um Anpassungsfähigkeit. Selbst die intelligentesten Roboter sind nicht so dynamisch, wie ein Korallenriff. Damit sich Unternehmen möglichst schnell an ihre Umwelt anpassen können, ist es das Ziel, jeden Mitarbeiter dabei einzubeziehen, das System ständig zu verbessern. Das Engagement eines jeden Beteiligten ist gefordert. Es geht darum, Blockaden zeitnah zu erkennen und zu transformieren. Damit ist die Chance sich dem Wandel anzupassen wesentlich höher. Die Erfolgschance für das Unternehmen steigt.

 

Agile Transformationen

Genau so, wie es mir bei meinem Tauchversuch erging, scheint es vielen Managern mit modernen selbstorganisierenden Managementmethoden zu ergehen. Der Versuch ein Unternehmen als lebenden Organismus zu betrachten, der sich ständig weiterentwickelt, ist mit einem enormen Lernprozess verbunden. Wenn sich alle daran gewöhnt haben, dann funktioniert das automatisch, gleich einem geübten Taucher der sich wie ein Fisch im Wasser bewegt.

Der Weg dorthin ist eine Konfrontation mit vielen Unbekannten. Die Angst vor Kontrollverlust begegnet mir hier am häufigsten. Der Umgang mit selbstorganisierenden Teams erfordert völlig neue Führungskompetenzen, auch als „Servant Leadership“ bekannt. Hierbei gilt es den Teams zu helfen ihre Konflikte selbst zu lösen und Blockaden und Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Dies sind Fähigkeiten die ein guter Coach braucht und müssen gezielt trainiert werden.

Die Veränderungen in einer sich ständig weiter digitalisierenden Welt erfolgen immer schneller. Unternehmen müssen sich immer schneller neu orientieren. Nur die Firmen, die es auf Dauer schaffen innovativ zu sein, können das Potenzial dieser Entwicklung ausschöpfen. Dies ist der Grund, warum immer mehr Unternehmen sich auf dieses Abenteuer einlassen, um die Innovationen die in ihnen schlummern zu heben.

 

Methoden und Frameworks für die Umsetzung

Es gibt erprobte Methoden, wie man ein Unternehmen als lebenden Superorganismus betrachten und auf ihn einwirken kann. Ein bekannter Ansatz aus der Softwareentwicklung ist Scrum. Holacracy von Brian Robertson und Management 3.0 von Jürgen Appelo verfolgen auch diese Philosophie. Design Thinking, dass an der Stanford University und am HPI in Potsdam kultiviert wurde, baut auf Selbstorganisation und multidisziplinäre Teams.

 

Autopoetische Unternehmen

Wenn nicht nur einzelne Teams sich selbst organisieren, sondern diese Teams sich auch eigenverantwortlich miteinander abstimmen, dann haben wir ein autopoetisches Unternehmen. Solche sozialen Systeme setzen nicht auf Hierarchien. Dieser Ansatz wird in Softwareentwicklungsunternehmen zum Teil genutzt um große Projekte mit vielen Teams zu skalieren oder Abteilungen und sogar ganze Unternehmen so zu führen.

„Holacracy“ ist eine Methode, die von Brian Robertson in seinen Unternehmen erprobt wurde um einen selbstorganisierenden, multidisziplinären Ansatz auf Unternehmensebene zu etablieren, der nicht nur auf die Entwicklung spezialisiert ist, sondern sich auch für den Einsatz bei Verwaltungsaufgaben eignet. Diese Methodik erfordert einen radikalen Wandel hin zu einer vollständigen Transformation im Unternehmen. Im Gegensatz zu den anderen Methoden, die auch nur von einzelnen Teams umgesetzt werden können, erfordert die „Holacracy“ das vollständige Committment des ganzen Unternehmens oder Teilunternehmens, bei dem diese Methode eingeführt wird.

Spielregeln

Unternehmen die autopoetisch agieren und sich evolutionär fortentwickeln brauchen klare Spielregeln. Hier geht es nicht um Basisdemokratie oder Kuschelkurs. Die soziale Kontrolle ist ein entscheidender Faktor, damit solch ein System effektiv funktioniert. Spielregeln setzen den Rahmen. Diese müssen immer wieder erneuert werden, damit sie lebendig bleiben. Unternehmen wie Spotify leben dies vor. Sie haben einmal mit Scrum als Basis begonnen und dann ihre eigene spezielle Unternehmenskultur daraus entwickelt. Alle Frameworks und Methoden können nur als Starthilfe dienen, um von dort die individuellen Spielregeln ständig weiter zu entwickeln.

 

Holarchien

Die Struktur die hier für eine Organisation genutzt wird ist keine traditionelle Hierarchie, sondern eine Holarchie. Arthur Koestler schuf diesen Begriff 1967 in seinem Buch „Das Gespenst in der Maschine“. Er definierte ein „Holon“ als ein Ganzes, das Teil eines größeren Ganzen ist und eine Holarchie als die Verbindung zwischen Holons. Der eigene Körper ist ein Beispiel hierfür. Jede Zelle ist somit eine autonome Einheit, ein Holon. Sie ist Teil eines größeren Holons, eines Organs, dass dann wieder Teil eines Körpers ist. Solch eine Holarchie beinhaltet Selbstorganisation und Autonomie auf jeder Stufe.

 

Holokratie

„Holocracy“ überträgt dieses Prinzip auf Unternehmen. Hola- von Holarchie und -cracy von der Idee der Kontrolle und Transparenz in einer (Büro)kratie. Hier werden Personen, in ihrer Rolle als Mitarbeiter des Unternehmens, als Holons betrachtet, die Teil sind von Teams als autonome, selbstorganisierende Einheiten. Diese sind wiederum Teil von Abteilungen, welche Teil des gesamten Unternehmens sind.

 

Rollen sind der Basisbaustein in einer „Holacracy“. Verantwortlichkeit wird an Rollen delegiert. Eine Person kann mehrere Rollen innehaben. Wenn zu viel Verantwortung an einer Rolle hängt, dann kann diese unterteilt werden in Zirkel, die wiederum Rollen beinhaltet. Da es in Holacracy darum geht die Arbeit zu organisieren und nicht die Menschen, lässt es den Spielraum, dass sich die Personen um die Rollen selbst organisieren. Eine Person kann gleichzeitig zwei Rollen in ganz unterschiedlichen Teilen des Unternehmens ausfüllen.

 

Spannungen beseitigen

In jedem sozialen System kommt es zu Konflikten und Spannungen zwischen den Teilnehmern. Solche Spannungen werden bei der „Holacracy“ als aufeinandertreffen von unterschiedlichen Prioritäten und Erwartungen zwischen Rollen gesehen. Diese wiederum sollten der Anstoß für die Evolution der Organisation sein.

Dieser Punkt stellt die größte Herausforderung dar bei der Etablierung einer Holacracy, wie auch für jedes selbstorganisierende und autopoetische Unternehmenssystem.

 

Holacracy Constitution

Für die Einführung von Holacracy gibt es eine 40 Seiten lange Verfassung. Damit alle Beteiligten im Unternehmen einverstanden sind, sollte für diese abgestimmt werden. Nur wenn eine große Mehrheit hinter solch einem Organisationssystem steht, gibt es eine Chance auf Erfolg.

In der Verfassung ist beschrieben, wie Rollen und Zirkel zusammenspielen, wer welche Kompetenzen hat und was Zirkelmitglieder sind. Es wird beschrieben welche speziellen Arten von Zirkeln es gibt und wie Sub-Zirkel bestückt werden und wie die Kommunikation zwischen Zirkeln abläuft. Es gibt eine fest definierte Meeting Struktur und einen operationalen Prozess.

Die gesamte Verfassung ist darauf ausgerichtet Arbeit zu organisieren und nicht Personen zu managen. Innerhalb des Rahmens der Verfassung organisieren sich die Menschen selbst. Das ist ähnlich, wie die Organisation einer Stadt oder eines Staates.

Fazit

Autopoetische Unternehmensführung ist die Führungsmethode des digitalen Zeitalters. So schaffen Unternehmen es, den kontinuierlichen Wandel für sich konstruktiv zu nutzen. Es gibt inzwischen viel Erfahrung, wie solche Unternehmen funktionieren. Holacracy ist eine Methode, bei dessen Einführung das gesamte (Teil)-Unternehmen radikal umgestellt werden muss. Das hat dann auch den durchschlagenden unternehmensweiten Erfolg. Andere Frameworks, wie Scrum, können auch zuerst in Teilbereichen, wie der Softwareentwicklung, erprobt werden. Langfristig können jedoch die Unternehmen, die als Gesamtsystem wie ein lebender Superorganismus funktionieren und sich selbst organisieren, am erfolgreichsten mit dem Wandel der von der digitalen Beschleunigung ausgeht, umgehen.

 

Links:

https://labs.spotify.com/2014/03/27/spotify-engineering-culture-part-1/

https://management30.com/about/

http://www.holacracy.org/constitution